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Neue Freie Presse
Morgenblatt
Nr. 12228. Wien, Donnerstag, den 8. September 1898

[1]

Richard Wagner und Wendelin Weißheimer.


0002Ed. H. In einem eben erschienenen Buch von
0003vierhundert Seiten erzählt uns der Componist und
0004Musikdirector Wendelin Weißheimer seine Erlebnisse mit
0005Richard Wagner.*) Man kennt den Verfasser als einen der
0010werkthätigsten Anhänger und Bewunderer des Meisters von
0011Bayreuth. Trotzdem wird sein ungemein interessantes Buch
0012die Wagnerianer verdrießen, weil es Thatsachen enthält, die
0013wieder einmal ein unerfreuliches Licht auf Wagner’s Cha-
0014rakter werfen. Warum, so fragen wir, hat Mr. Chamber-
0015lain, der streitbare Bischof der Wagner-Gemeinde, das Buch
0016nicht einstampfen lassen, wie Ferdinand Präger’s 
0017Wagner, wie ich ihn kannte“? Das war ja die einfachste, handlichste
0018Methode, einen Bericht aus der Welt zu schaffen, der Un-
0019günstiges, angeblich Irriges über Wagner enthielt. Die
0020literarisch correcteste, nobelste Art der Widerlegung ist das
0021freilich kaum. Nicht einmal die vortheilhafteste. Das Wagner-
0022Syndicat hätte doch besser gethan, alle Unrichtigkeiten in
0023Präger’s Buch standhaft zu widerlegen und das Endurtheil
0024dem Publicum zu überlassen. Warum ein Buch mit der
0025Stampfmühle vernichten, wenn man es mit der Feder ver-
0026mochte? Unwillkürlich denken wir an Heine’s Klage:
0027„Schließlich stopft man mir den Mund mit einer Handvoll
0028Erde — Aber ist das eine Antwort?“


0029Herr Weißheimer, gegenwärtig in Freiburg i. Br. an-
0030sässig, war als Student in Darmstadt durch die Auf-
0031führungen von „Tannhäuser“ und „Lohengrin“, „in ein
0032völliges Wagner-Delirium gerathen“. Nur schwer erlangte
0033er die Zustimmung seiner Eltern, sich ganz der Musik
0034widmen zu dürfen. Nach absolvirten Studien am Leip-
0035ziger Conservatorium reiste er im Sommer 1858 mit einer
0036Empfehlung Schindelmeisser’s zu Wagner nach Zürich. Zum
0037letztenmale hat er Wagner im Juni 1868 in München in 
0038der Königsloge des Hoftheaters gesehen. Den Inhalt dieser
0039zehn Jahre bildete für Weißheimer die unermüdlichste, fast
0040ausschließliche Thätigkeit im Interesse Wagner’s. Wir wollen
0041hier in Kürze und möglichst wortgetreu das Wichtigste
0042aus Weißheimer’s Erlebnissen mit Wagner nacherzählen.


0043Zunächst beginnt Weißheimer seine Thätigkeit mit einer
0044Reihe von Aufsätzen über „Tristan und Isolde“ für
0045Brendel’s Musikzeitschrift. Dann hilft er dem von Paris 
0046nach Deutschland zurückgekehrten Wagner bei dessen Ueber-
0047siedlung von Mainz nach Biebrich. Das war keine Kleinig-
0048keit, denn eine ganze Wagenburg kam angefahren mit
0049Wagner’s Kisten und Koffern. Nicht die Hälfte davon fand
0050Raum in Wagner’s aus drei Zimmern bestehender Woh-
0051nung. Im ganzen Hause war kein Platz, und so brachte
0052denn Weißheimer mit Hilfe des Wirthes die Kisten in einem
0053benachbarten geräumigen Kelterhaus unter. Wagner ließ
0054von einem Tapezierer die Fenster seiner Wohnung mit Vor-
0055hängen und die Thüren mit Portièren versehen, schlüpfte
0056in einen seiner berühmten Sammtschlafröcke, setzte ein dazu
0057passendes Barett auf und begann an den „Meister-
0058singern“ zu arbeiten. Mitten in dieser erregten
0059Productionszeit wurde er durch den Besuch seiner
0060Frau überrascht. Die gute Minna wollte ihm eine Freude
0061machen und kam unvermuthet aus Dresden an, wo er seit
0062einiger Zeit sie bei Tichatscheks untergebracht hatte. Wagner 
0063verhehlte nicht, wie ungelegen dieser gutgemeinte Ueberfall
0064ihm komme. Was bei der großen Verschiedenartigkeit beider
0065Ehehälften vorauszusehen war: schon nach Verlauf einer
0066Woche reiste Frau Minna wieder zurück nach Dresden,
0067um sich nie wieder sehen zu lassen. In Mainz 
0068besorgt Weißheimer alle erdenklichen Commissionen
0069für Wagner, der in zahlreichen Briefchen ihn stets
0070mit Liebster Wendelin, Liebster Freund, anredet.
0071Weißheimer arbeitet für Wagner einen vierhändigen Clavier-
0072auszug des „Meistersinger“-Vorspiels aus, begleitet bei dem
0073Besuch des Sängers Schnorr die Tristan-Scene aus der
0074Partitur und was es sonst noch gab an musikalischen Freund-
0075schaftsdiensten. Aber diese waren noch die geringsten. Wagner 
0076befand sich fortwährend in Geldverlegenheit, was ihn freilich
0077nicht hinderte, Champagner aufzutischen, dem Kutscher für
0078eine Spazierfahrt einen Louisd’or zu geben u. s. w. Als
0079Wagner nach Karlsruhe reist, um dort dem Großherzog 
0080die Meistersinger-Dichtung vorzulesen, schüttet ihm Weiß-
0081heimer beim Einsteigen vorsichtshalber den ganzen Inhalt
0082seines Portemonnaies in den Hut. Der Verleger Schott 
0083war des ewigen Vorauszahlens müde geworden und Wagner 
0084saß bald auf dem Trockenen. Weißheimer, der ihm wieder-
0085holt mit kleineren Beträgen ausgeholfen, sollte es nun mit
0086einer größeren Summe. „Wagner wünscht eine General-
0087Anleihe von 5000 fl.“ „Zunächst, liebster Freund,“ schreibt
0088er an Weißheimer, „bedarf ich auf das dringendste 1500 fl.
0089Sehen Sie, was Sie über ihren lieben Vater vermögen!
0090Strengen Sie das Aeußerste an!“ Weißheimer reist eiligst
0091nach Osthofen zu seinem Vater, dann nach Worms zu
0092seinem Onkel; Beide können diesmal nicht aushelfen. Endlich
0093erhält er zum Glück das Gewünschte von dem Bankier
0094Bamberger und eilt nach Mainz zurück, wo bereits Wagner 
0095ungeduldig im Café Paris seiner harrt. Bei Empfang
0096des Geldes fällt er seinem jungen Freunde weinend um den
0097Hals. Zunächst mußte Wagner seine Wohnung in Biebrich 
0098bezahlen, denn ohne Zahlung durfte er in dieselbe nicht
0099wieder hinein. Aber jede Summe zerrann in Wagner’s
0100Händen. Kaum acht Tage später dringt er in Weißheimer,
0101ihm um Himmelswillen noch etwa 300 fl. vorzustrecken;
0102auch Bülow solle ein paar hundert Gulden auftreiben.
0103Weißheimer reist nach Wiesbaden zu wohlhabenden Freunden
0104(Wilhelmy und Rosenträger), welche geneigt schienen, Wagner 
0105zu helfen, falls er nicht zu hohe Anforderungen stellen würde.
0106„Einmal in Wiesbaden,“ berichtet Weißheimer, „wollte ich
0107es nicht versäumen, Alles aufzubieten und auf gut Glück
0108für Wagner sogar auf den — Bettel zu gehen.“ So
0109schwer es ihm wurde, Weißheimer sprach in der Nähe des
0110Curhauses allerhand distinguirt aussehende Persönlichkeiten
0111zu Gunsten Wagner’s an — holte sich aber lauter Körbe.
0112Hierauf faßt er die Idee zu einer National-Sub-
0113scription
für Wagner und correspondirt darüber eifrig
0114mit Bülow. Dieser verhehlt sich nicht die vielen Bedenk-
0115lichkeiten der Sache, sieht aber doch keinen andern Ausweg
0116und verspricht seine Mitwirkung. Inzwischen hilft Weißheimer 
0117immer wieder aus. „Sie sind wahrlich der Einzige,“ schreibt
0118ihm Wagner, „der sich noch um mich bekümmert! Selbst
0119Hans (Bülow) scheint’s aufgegeben zu haben.“ Letzterer hatte
0120ihn keineswegs aufgegeben, stand aber den unaufhörlichen
0121Geldforderungen Wagner’s rathlos gegenüber und nennt
0122es unglaublich, was Wagner in vierzehn Tagen
0123an Geld consumiren kann! „Haben Sie denn keine [2]
0124Idee,“ fragt Bülow, „wo er das Geld, das er sich
0125immer im Nothfalle zu verschaffen weiß, so schnell hinbringt?“
0126Weißheimer gesteht, es nicht zu begreifen. Heute sei Wagner 
0127im Besitze von mehreren hundert Gulden und im Hand-
0128umdrehen seien sie fort. Seine Kunst im Geldausgeben sei
0129räthselhaft. „Und mir ist räthselhaft,“ fährt Bülow fort,
0130„daß er sich allemal das Nöthige wieder zu verschaffen weiß.
0131Am Ende ist er ein noch größeres Finanzgenie, als er
0132Dichter- und Musikgenie ist.“ Zunächst erprobt sich das
0133Finanzgenie allerdings wieder an Weißheimer. „Machen Sie
0134ihre Sachen gut,“ schreibt ihm Wagner, „erleichtern Sie
0135mein Herz und beschweren Sie meinen Beutel!“ Durch
0136Weißheimer, der seinen Vater neuerdings für Wagner an-
0137pumpt, erhält er schnell hundert Thaler, mit denen er nach
0138Leipzig abreist, zur Veranstaltung eines Concertes Anfangs
0139November 1862.


0140Nun folgt als interessante Episode Wagner’s Besuch in
0141Wien. Hier gilt es, die Aufführung von „Tristan und
0142Isolde“ und gleichzeitig ein paar Orchester-Concerte im
0143Theater an der Wien vorzubereiten. Wagner braucht Geld
0144und immer wieder Geld! Aus dem Hotel „Kaiserin
0145Elisabeth“ schreibt er an Weißheimer, der in Leipzig die
0146Copiaturen für ihn besorgt: „Geld kann ich bis dahin
0147nicht zur Bezahlung der Copisten schicken. Sehen Sie doch
0148um des Himmelswillen, wie Sie das machen!“
0149Wendelin’s Vater muß abermals Geld schaffen, und der
0150Sohn reist Ende December 1862 selbst nach Wien,
0151um Wagner von Früh bis Abends behilflich zu sein.
0152Er studirt täglich mit Ander die Partie des Tristan und
0153zugleich heimlich mit Walter; denn Ander’s schwankende
0154Gesundheit machte eine Doppelbesetzung nothwendig, von
0155welcher er aber nichts erfahren dürfe. Auch mit Hrabanek 
0156studirt er den Kurvenal und soll Beck in den König Marke 
0157einweihen. Beck ahnt aber, daß aus der „Tristan“-
0158Aufführung nichts würde und ist nie zu Hause
0159oder läßt sich verleugnen. Die beiden Concerte Wagner’s
0160erregten unbeschreiblichen Jubel und brachten ihm
0161eine Einnahme von 3000 Gulden. Außerdem schickte
0162ihm die Kaiserin auf Veranlassung Dr. Standhartner’s
01631000 Gulden. Und immer jammert er noch: „Ich armer,
0164geplagter Mann!“ Da Ander’s Erkrankung den „Tristan“
0165ins Unbestimmte hinausschob, reiste Wagner nach Peters-
0166burg, wo seine Aufführungen von glänzendstem künstlerischen
0167und pecuniären Erfolg gekrönt waren. Auch Wagner’s Con-
0168certe in Prag und in Pest (er selbst rühmt ihren „un-
0169glaublichen Erfolg“) hatten große Summen eingebracht.
0170„Aber eine Summe, mit welcher jeder Andere einige Jahre
0171sorgenfrei leben und schaffen konnte, ward von Wagner in
0172wenigen Wochen verbraucht.“ Von Petersburg wendet sich
0173Wagner wieder nach Wien oder genauer: nach Penzing.
0174Dort miethet er die leerstehende Villa des Baron Rochow 
0175und läßt sie vollständig neu einrichten. Inzwischen ist der
0176treue Wendelin unausgesetzt für ihn thätig, in Frank-
0177furt, in Darmstadt, in Rotterdam, um in Vorberei-
0178tung von Concerten den Boden für Wagner zu ebnen.
0179Noch wähnt er diesen in Penzing ruhig bei der Arbeit,
0180als ihn (in Leipzig) ein Telegramm Wagner’s plötzlich
0181nach Stuttgart beruft. Wagner war im März 1864 heimlich
0182von Penzing geflüchtet. Den Miethzins, die kostspielige Ein-
0183richtung und sonstige Schulden für ihn zu bezahlen, überließ
0184er ohneweiters seinen ahnungslosen Freunden, die, wie
0185z. B. Karl Tausig, für ihn Bürgschaft geleistet hatten.
0186Von da an wird die Geschichte immer romanhafter; die
0187Begebenheiten überstürzen sich in immer schnellerem Tempo.
0188Wagner eilt von Wien zunächst nach Zürich zu Frau Wille,
0189von da nach Stuttgart. Ihm nach — nicht seine Gläubiger,
0190sondern sein Retter: der bayrische Hofsekretär v. Pfister-
0191meister
, der im Auftrage des jungen Königs Ludwig II. 
0192Wagner ausfindig machen und nach München bringen soll. Er
0193sucht den Flüchtling vergebens in Wien, vergebens in Zürich;
0194endlich erhascht er ihn in Stuttgart, gerade als Weißheimer 
0195ihm die Koffer packen hilft zur raschen Weiterreise. „Ich
0196bin am Ende,“ sagt Wagner, „ich muß irgendwo von der
0197Welt verschwinden. Können Sie mich nicht davor be-
0198wahren?“ Diesmal ist es Weißheimer zu seinem Leidwesen
0199unmöglich, da er noch nicht in dem Besitz seines zu er-
0200wartenden Vermögens und sein Vater der vielen Opfer
0201müde geworden war. „Nun, so muß ich auf einige Zeit ver-
0202schwinden, aber Sie müssen mich begleiten!“ Wendelin sagt
0203dies zu; Wagner möge unter allen Umständen auf ihn
0204rechnen. „Nun so verschwinden wir in die Rauhe Alb!“ —
0205Da erscheint als rettender Engel der königliche Abgesandte
0206und nimmt Wagner sofort nach München mit. Noch in der
0207Abschiedsstunde vermag Wendelin ihm einen letzten Dienst 
0208zu erweisen. Wagner war nämlich eiligst in den Waggon
0209eingestiegen, ohne eine Fahrkarte gelöst zu haben; da rennt
0210Wendelin zur Kasse, löst das Billet nach München und reicht
0211es noch rechtzeitig Wagner durchs Waggonfenster.


0212Wir finden Wagner als allmächtigen Günstling des
0213jungen Königs wieder. Nun hat er die Dienste seines treuen
0214Wendelin nicht mehr nöthig, und so ist denn auch schnell
0215vergessen, was dieser durch volle zehn Jahre in unermüd-
0216licher Aufopferung für ihn geleistet. Als Wendelin seinen
0217Besuch in Starnberg anzeigt, antwortet ihm Wagner, er
0218könne ihn nicht aufnehmen, da seine Gasträume in den
0219nächsten Tagen besetzt sein würden. Zu Weißheimer’s Hoch-
0220zeit verspricht Wagner nach Augsburg zu kommen; ja er will
0221nach der Trauung sogleich mit dem jungen Ehepaare nach
0222München fahren und ihm hier das Hochzeitsdiner geben.
0223Wendelin ist entzückt über diese Auszeichnung, erhält aber
0224im letzten Augenblicke ein Telegramm von Wagner, daß er
0225nicht kommen könne, und daß auch das versprochene Hoch-
0226zeitsdiner in München unmöglich sei. So schmerzlich Weiß-
0227heimer diese grausame Ueberraschung treffen mußte, er unter-
0228drückt jede Empfindlichkeit, hofft er doch, Wagner werde ihm
0229wenigstens einen einzigen, für seine ganze Zukunft entscheidenden
0230Freundschaftsdienst nicht versagen. Es handelte sich um die
0231Annahme seiner Oper „Theodor Körner“ am Münchener
0232Hoftheater. Eine einfache Empfehlung Wagner’s hätte hin-
0233gereicht, um vom König den gewünschten Auftrag zu er-
0234wirken. Ein Wort von Wagner war genügend, um Weiß-
0235heimer wenigstens eine Audienz beim König zu ver-
0236schaffen. Wagner hat beides abgelehnt. Ja, er ließ
0237sich nicht einmal herbei, sich von Weißheimer 
0238einige Hauptpartien der Oper vorspielen zu lassen.
0239Nur in das Textbuch hatte er Einsicht genommen und
0240dessen „revolutionäre Tendenz“ getadelt. Und doch muß
0241Wagner, wie zahlreiche Stellen in seinen Briefen beweisen,
0242von dem Talent Weißheimer’s eine sehr günstige Meinung
0243gehegt haben. Als Liszt die Oper auf das wärmste an die
0244Berliner General-Intendanz empfiehlt, schreibt Wagner am
024515. Januar 1868: „Herzlichen Dank, lieber Wendelin!
0246Alles Glück sei mit Ihnen und Herrn Körner.
0247Es kann ein sehr glücklicher Fall sein und — ich hoffe es!“
0248Selbst rührte er aber keinen Finger für seinen früheren
0249Wohlthäter. Wir wollen hier nicht dem ganzen Leidens[3]-
0250weg des immer von neuem hingehaltenen und getäuschten
0251armen Wendelin schrittweise nachgehen — genug, daß er
0252nach unsäglicher Mühe und Zeitverlust von Frau Cosima 
0253schließlich die gnädige Entscheidung empfing: Wagner werde,
0254falls der König die Aufführung der Oper aus freien
0255Stücken bewilligen sollte, nicht dagegen sprechen!
0256Thatsache ist, daß Weißheimer’s Werk, das an einer andern
0257Bühne einen guten Erfolg errungen, in München nicht 
0258zur Aufführung gelangt ist. Das also war der Lohn für
0259Weißheimer’s zehnjährige unermüdliche Aufopferung.
0260Er sah nunmehr ein, daß von dem mächtig ge-
0261wordenen Wagner durchaus nichts zu hoffen sei, und verließ
0262München, um eine Capellmeisterstelle in Augsburg, dann in
0263Berlin (bei Kroll), in Düsseldorf und Würzburg anzu-
0264nehmen. In jeder dieser Stellungen galt sein schönster Eifer
0265der Aufführung von Wagner’s Opern! Von Wagner selbst
0266empfing er nie wieder ein Lebenszeichen, seit er diesen zuletzt
02671868 flüchtig in München gesehen — neben dem König in
0268der Hofloge bei der Première der „Meistersinger“.


0269Verschiedene Kritiker rügen an Weißheimer, daß er auch
0270von seinen eigenen Compositionen spricht und von der Aner-
0271kennung, die Männer wie Liszt, Bülow, Tausig, Cornelius,
0272Dräsecke und Perfall ihnen gezollt haben. Es ist ihm, nach
0273meiner Empfindung, die einzige bescheidene Genugthuung
0274vom Herzen zu gönnen;**) ja, die Berufung auf das Lob
0279der genannten Künstler war fast nothwendig, um den Leser
0280vor dem Irrthum zu bewahren, Weißheimer sei eben nicht mehr
0281und nichts Anderes gewesen, als in Einer Person der Lohn-
0282diener und der Geldgeber Wagner’s. Die geschworene
0283Parteigänger des Letzteren werden tadelnde Worte voraus-
0284sichtlich nur gegen Weißheimer erheben. Für sie bleibt ja
0285Wagner der Idealmensch, ja nach Zeugniß des Herrn
0286v. Wizewa schlechtweg der Heiland. Sie ignoriren den
0287kleinen Unterschied, daß dieser „Heiland“ immer Andere sein
0288Kreuz schleppen und die Dornenkrone tragen läßt, ohne daß
0289es ihm beifiel, die armen Schächer dann mit sich ins Para-
0290dies zu nehmen.

Fußnoten
  • *)Erlebnisse mit R. Wagner, Liszt und vielen
    anderen Zeitgenossen nebst deren Briefen.“ Mit Facsimiles von
    Briefen Wagner’s, Liszt’s und Bülow’s. Von W. Weißheimer.
    (Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart. 1898. Zweite Auflage.)
  • **)Eine zweite Oper Weißheimer’s „Meister Martin und seine
    Gesellen“, hat in Frankfurt am Main einen großen Erfolg errungen
    unter der Leitung Dessoff’s, der die Novität seinerzeit angelegent-
    lich zur Aufführung in Wien empfahl.